Kulturpolitikforschung

 

Das Engagement des Institutsgründers Kurt Blaukopf für kulturpolitische Anliegen beginnt in den späten 1960er-Jahren und intensiviert sich mit seiner Mitgliedschaft im Exekutivrat der Unesco (1972-1976). Seit Beginn der 1970er-Jahre entstehen zahlreiche kulturpolitische Studien, die Blaukopf gemeinsam mit anderen Forscher_innen (etwa mit Irmgard Bontinck, Desmond Mark, Harald Gardos u.a.), am IMDT („Internationales Institut für Musik, Tanz und Theater in den audiovisuellen Medien“, 1976 umbenannt in „Internationales Forschungsinstitut für Medien, Kommunikation und Kulturelle Entwicklung-Mediacult“) durchführt. (Für einen Überblick der Veröffentlichungen Kurt Blaukopfs zu kulturpolitischen Themen siehe Institut für Musiksoziologie 1999.) Der thematische Schwerpunkt liegt meistens auf den Arbeits-, Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen von Kunst, wobei soziale, ökonomische und technologische Aspekte thematisiert werden. Die zugrunde liegenden Kunst- und Kulturbegriffe sind breit aufgefasst, so dass neben den etablierten Kunstformen auch jugend- und subkulturelle Ereignisse untersucht werden (z.B. Blaukopf 1973; Bontinck 1974; Blaukopf et al. 1983).

Beobachten, Beschreiben und Analysieren sind für die Kulturpolitikforscher*innen am Institut für Musiksoziologie unabdingbare Schritte, um das kulturelle Leben in all seinen Facetten zu erfassen – Kurt Blaukopf spricht von „Bestandsaufnahme“ und „Soziographie“ – und um mögliche Konsequenzen für die Entwicklung politischer Maßnahmen anzudenken (z.B. Blaukopf 1977a, S. 2f.; 1977b, S. 326f.; 1986, S. 13). Die enge Beziehung zwischen empirisch-wissenschaftlicher Forschung und Politik – was später „evidenzbasierte Kulturpolitik“ genannt wurde – versteht Blaukopf treu dem Weberschen Diktum von der „Wertneutralität der Wissenschaften“ als eine beratende Beziehung: Den Wissenschaften „obliegt es bloss, jene Daten zur Verfügung zu stellen, die die Einstufung ermöglichen, d.h. Entscheidungshilfen für die Kulturpolitik, die Medienpolitik, die Rechtspolitik usw. bereitzustellen“ (Blaukopf o.J., S. 2; siehe auch Blaukopf 1982). Daher begreifen Kulturpolitikforscher*innen am Institut für Musiksoziologie Kulturpolitik in ihrer Verschränkung mit anderen Politikfeldern – vor allem mit der Sozialpolitik (Blaukopf et al. 1983; Zembylas 1998; Mediacult 2000), Bildungspolitik (Bontinck 1977; Ostleitner 1987, Chaker/Petri-Preis [im Erscheinen]) und Gender (Ostleitner 2000; Zembylas 2000). So stellt Blaukopf (1984, S. 499) in einem Artikel zur sozialen Lage der Komponist*innen fest: „Das Verlangen nach Vermehrung der für die Künstler verfügbaren Förderungsmittel ist […] nicht der entscheidende oder gar einzige Faktor, der geeignet sein kann, die soziale Lage der Künstler zu verbessern. Weit wichtiger noch ist die Idee einer Harmonisierung der Sozialpolitik, der Urheberrechtspolitik, der Steuerpolitik, der Medienpolitik mit den deklarierten Zielen der Kulturpolitik.“

Ab Ende der 1980er-Jahre konzentrieren sich mehrere Institutsmitglieder auf die kulturpolitische Bedeutung des technologischen Wandels und beschäftigten sich somit verstärkt mit der Medienpolitik (z.B. Blaukopf 1987; 1992; Bontinck et al. 1993). Diese Thematik greift Alfred Smudits auf, der nun Blaukopfs Konzept der Mediamorphose systematisch weiter entwickelt und neuen berufssoziologischen Fragestellungen nachgeht (z.B. Smudits 1985; 1987). In den 1990er-Jahren positioniert sich Alfred Smudits als Experte und Diskursteilnehmer in kulturpolitischen Feld (Smudits 1993; Smudits und Bontinck 1996) und rückt das Thema Digitalisierung in den Vordergrund (Mediacult 1999). Zudem wirkt er als Mitglied verschiedener Kunstbeiräte, der Österreichischen Unesco Kommission, des Committee of Governmental Experts on the Cultural Aspects of Communication im Rahmen des Europarats u.a. Gemeinsam mit anderen nimmt er auch aktiv teil an Diskussionen zur Reform der österreichischen Kulturpolitik auf Bundesebene (Bernard et al. 1994; Republik Österreich 1999).

Nach den 2000er-Jahren vollzieht sich am Institut für Musiksoziologie ein Generationswechsel. Zudem ist das politische Umfeld in Österreich verändert, so dass Tasos Zembylas die rechts- und demokratiepolitischen Aspekte der Kulturpolitik und Kulturförderung in das Zentrum der rückt. (Für einen allgemeinen Überblick der österreichischen Kulturpolitik siehe Zembylas 2017) Diese normative Perspektive ist insofern neu, weil sie ausgehend von demokratietheoretischen (Zembylas 2000; Zembylas und Mokre 2003; Schad 2015) und grundrechtlichen (Zembylas 2005) Überlegungen den Fokus der Forschung auf die Praxis der Förderungsverwaltung lenkt (Zembylas 2006). Tasos Zembylas führt komparatistische Studien durch, die die Verwaltungspraxis auf Bundes- und Landesebenen bzw. auf kommunaler Ebene vergleichen (Zembylas und Lang 2008). Hinter dieser Wende steht die wissenschaftstheoretische Überzeugung, dass Kulturpolitikforschung nicht nur soziologische, sondern auch politik- und rechtswissenschaftliche Expertise vereinen muss. Die Vorstellung einer beratenden Beziehung zwischen Politik und Wissenschaft, die Kurt Blaukopf in den 1970ern-Jahren formulierte, findet hingegen in verschiedenen Evaluationsaufträgen und Studien eine Fortsetzung (Bontinck 1988; 1990; Bontinck und Haid 2004; Zembylas und Alton 2011; Zembylas 2019).

Die aktuellste kulturpolitisch relevante Studie, die am Institut für Musiksoziologie und Mediacult durchgeführt wurde, bezieht sich auf die kulturellen Angebote für ältere Menschen und der Verantwortung der Kulturpolitik für den Abbau diverser Zugangsbarrieren (Gallistl et al. 2021). Hierbei geht es um Konzepte von Teilhabe und Wohlergehen, die auf die Überschneidung von Kultur- mit Sozialpolitik hinweisen.

 

Literatur

Bernard, Jeff/Robert Harauer/Wolfgang Reiter/Alfred Smudits/Kurt Stocker (1994): Kulturpolitik für die neunziger Jahre, Wien: IKUS-Institut für Kulturstudien.

Blaukopf, Kurt (1973): “Pop, Beat and Rock. Doing your Electrical Thing”, in: Unesco Features, no. 651.

Blaukopf, Kurt (1977a): „Die Zukunft der darstellenden Künste und die Medien“, in: Musik und Bildung, Nr. 2, S. 2-6.

Blaukopf, Kurt (1977b): „Die Medien und die neue musikalische Realität“, in: Musik und Bildung, Nr. 6, S. 326-327.

Blaukopf, Kurt (1982): Die Rolle der Sozial- und Kulturwissenschaften in der mittelfristigen Planung der Unesco, 1977-1982, Typoskript.

Blaukopf, Kurt (1984): „Die soziale Lage der Komponisten in Österreich“, in: Österreichische Musikzeitschrift, 39. Jg., Heft 10.

Blaukopf, Kurt (1986): „Ein Frühwarnsystem für die Kulturpolitik“, in: Unesco-Dienst, 33. Jg., Nr. 10, S. 13-17.

Blaukopf, Kurt (1987): „Musikpolitik und Medienrealität“, in: Media Perspektiven, Nr. 7, S. 228-236;

Blaukopf, Kurt (1992): Musik in der Mediamorphose, in: Österreichische Musikzeitschrift, 47. Jg., S. 643-644.

Blaukopf, Kurt (o.J.): Der Begriff des „cultural lag“ in der „Mutationsforschung“, unveröffentlichtes Manuskript.

Blaukopf, Kurt/Irmgard Bontinck/Harald Gardos/Desmond Mark (1983): Kultur von unten: Innovationen und Barrieren in Österreich, Wien. Löcker.

Bontinck, Irmgard (ed.): Integrative Evaluation of Cultural Policies. Aspects of harmonization of policy measures affecting culture in Austria, Vienna 1988.

Bontinck, Irmgard (Hg.in) (1974): New Patterns of Musical Behaviour. A Survey of Youth Activities in 18 Countries, Vienna: Universal Edition

Bontinck, Irmgard (Hg.in) (1977): Kritik der etablierten Kultur, Wien: Universal Edition.

Bontinck, Irmgard/Alfred Smudits/Andreas Gebesmair/Mark Desmond et al. (1993): Kultur und elektronische Medien, Wien: Mediacult.

Bontinck, Irmgard/Marie-Luise Angerer (1990): Comparative Study on Methods of Evaluation of Cultural Policy Measures in Europe, Vienna: Mediacult.

Chaker, Sarah/Petri-Preis, Axel (eds.) (im Erscheinen): Tuning Up! Innovative Potentials of Musikvermittlung, Bielefeld: Transcript.

Bontinck, Irmgard/Gerlinde Haid (Hginnen (2004): Kultur im Kremsmüster. Entwicklung seit 1978, aktuelle Situation und Möglichkeiten zukünftiger Schwerpunktbildung. Projektbericht. Wien.

Gallistl, Vera/Tasos Zembylas/Gerhard Geiger (2021): “Mainstreaming Ageing in Austrian Cultural Organisations and Cultural Policy”, in: Chris Mathieu/Valerie Visanich (Hg.): Cultural Policy in Europe: Cultural Rights, Management and Governance, London: Routledge, im Erscheinen.

Institut für Musiksoziologie (Hg.) (1999): Fast eine Biographie. Kurt Blaukopf in seinen Schriften, Strasshof: Vier Viertel Verlag.

Mediacult (1999): Digital Culture in Europe. A selective inventory of centres of innovation in the art and new technologies, Strasbourg: Council of Europe Publishing.

Mediacult (2000): Frauen in Kultur- und Medienberufen in Österreich. Forschungsbericht, Wien.

Ostleitner, Elena (2000): „Die Wiener Philharmoniker und die Frauenfrage. Eine Chronologie der Ereignisse im Spiegel der Presse“, in: Freia Hoffmann et al. (Hg.in): Frauen- und Männerbilder in der Musik, Oldenburg: BIS-Verlag, S. 265-270.

Ostleitner, Elena (Hg.in) (1987): Massenmedien, Musikpolitik und Musikerziehung. Reihe Musik und Gesellschaft, Bd. 20, Wien: VWFÖ.

Republik Österreich (Hg.) (1999): Weissbuch zur Reform der Kulturpolitik in Österreich, Wien: Falter.

Schad, Anke (2015): „Kulturfinanzierung, Governance und Demokratie“, in: Zeitschrift für Kulturmanagement: Kunst, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft/Journal of Cultural Management: Arts, Economics, Policy, Nr. 3, S. 29-51.

Smudits, Alfred (1985): Medien und künstlerische Berufe: der ORF als Arbeitgeber für Kulturschaffende, Wien: Mediacult.

Smudits, Alfred (Hg.) (1987): New Media: a challenge to cultural policies, Wien: VWGÖ.

Smudits, Alfred/Irmgard Bontinck (Hg.) (1996): Elektronische Kultur zwischen Politik und Markt, Wien: Guthmann-Peterson.

Smudits, Alfred/Irmgard Bontinck/Desmond Mark/Elena Ostleitner (1993): Komponisten-Report: zur sozialen Lage der Komponisten und Komponistinnen in Österreich, Wien, WUV-Universitätsverlag.

Zembylas Tasos/Monika Mokre (2003): „Sein oder Nichtsein – Vielfalts- und Partizipationsförderung als Leitziele einer künftigen Kulturpolitik“, in: Kurswechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschaftspolitischer Alternativen, Heft 4, S. 47-61.

Zembylas, Tasos (1998): „Geschlechterasymmetrie im Kunstbetrieb“, in: Kampits, Peter (Hg.): Angewandte Ethik, Kirchberg a. W.: Österreichische Ludwig Wittgenstein Gesellschaft, S. 445-451.

Zembylas, Tasos (2005): „Fairness und Verfahrensstandards in der Kunst- und Kulturverwaltung“, in ders. (Hg.): Der Staat als kulturfördernde Instanz, Innsbruck: Studien Verlag, S. 13-41.

Zembylas, Tasos (2017): „Kulturpolitik in Österreich“. In Armin Klein (Hg.) Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München: Valden, S. 141-156.

Zembylas, Tasos (2019): “Why Are Evaluations in the Field of Cultural Policy (Almost Always) Contested? Major Problems, Frictions, and Challenges”, in: DeVereaux, Constance (ed.): Arts and Cultural Management: Sense and Sensibilities in the State of the Field, New York: Routledge, S. 129-151.

Zembylas, Tasos (Hg.) (2000): Kunst und Politik – Aspekte einer Problematik, Innsbruck: Studien Verlag.

Zembylas, Tasos und Meena Lang (2008): Gut sein, besser werden. Kulturförderung als normative und administrative Herausforderung. Forschungsbericht, Wien

Zembylas, Tasos/Julianna Alton (2011): Evaluierung der Kulturförderung der Stadt Graz. Endbericht, Wien.

Zembylas, Tasos: „Good Governance“ und die österreichische Kulturförderungsverwaltung. Ist-Analyse und Visionen über eine andere Verwaltungskultur“, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, Nr. 3, S. 255-273.